Teresa von Avila war Karmeliterin sowie Mystikerin. In der katholischen Kirche wird sie als Heilige und Kirchenlehrerin verehrt.

Als ich dieses Gebet das erste Mal gelesen hatte, dachte ich, dass es fast wie ein Stoßgebet geschrieben und gefühlt ist. Es passt zu allen Zeiten und zu fast allen Altersstufen – besonders natürlich für Menschen, die eine gute Wegstrecke des Lebens hinter sich haben. Das Gedicht bekommt noch mehr Wirkung, wenn man an eigene Erlebnisse aber auch an eigene Versäumnisse denkt.

Ich wünsche allen, denen es gefällt, meditative Reflexion.

 

Gebet der hl. Teresa von Avila
(1515 – 1582)

• Oh Herr, du weißt besser als ich, dass ich von Tag zu Tag älter und eines Tages alt sein werde. Bewahre mich vor der Einbildung, bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema etwas sagen zu müssen.

• Erlöse mich von der großen Leidenschaft, die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen. Lehre mich, nachdenklich (aber nicht grüblerisch), hilfreich (aber nicht diktatorisch) zu sein. Bei meiner ungeheuren Ansammlung von Weisheit erscheint es mir ja schade, sie nicht weiterzugeben – aber du verstehst, o Herr, daß ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.

• Bewahre mich vor der Aufzählung endloser Einzelheiten und verleihe mir Schwingen, zum Wesentlichen zu gelangen.

• Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwerden. Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.

• Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir Krankheitsschilderungen anderer mit Freude anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen.

• Erhalte mich so liebenswert wie möglich. Ich möchte keine Heilige sein – mit ihnen lebt es sich so schwer -, aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels.

• Lehre mich, an anderen Menschen unerwartete Talente zu entdecken und verleihe mir, o Herr, die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.

• Lehre mich die wunderbare Weisheit, dass ich mich irren kann.

Ich freue mich über Anregungen und Kritik - diese Mail geht nur an meine Adresse.